- soziale Sicherung
- 1. Überblick und Organisation: Die s.S. dient der Herstellung von Chancengleichheit und der Vorsorge und Absicherung von Menschen gegenüber Risiken und Ungewissheit.- In Deutschland werden diese Leistungen im Rahmen eines gegliederten Systems erbracht. Im Gegensatz zu Deutschland wird in vielen Ländern s.S. direkt vom Staat angeboten (⇡ Beveridge-Plan). Dadurch sind die Leistungen besser politisch steuerbar, aber auch relativ unsicher, wenn beim Staatshaushalt Finanzierungsprobleme auftreten.- In Deutschland ist ein großer Teil der s.S. in Form einer Selbstverwaltung organisiert, die sich aus Körperschaften des öffentlichen Rechts zusammensetzt. Nur in wenigen Bereichen spielen Privatversicherungen eine Rolle. Die staatlich organisierte s.S. ist einerseits in direkt vom Staat durch allgemeine oder kommunale Verwaltung zur Verfügung gestellte Leistungen und andererseits in die selbstverwaltete Sozialversicherung zu unterscheiden. Die klassische Selbstverwaltung der s.S. gilt für die gesetzliche ⇡ Krankenversicherung, ⇡ Unfallversicherung, ⇡ gesetzliche Rentenversicherung und ⇡ Pflegeversicherung. Eine besondere Selbstverwaltung gilt für die ⇡ Bundesagentur für Arbeit (BA), die v.a. die ⇡ Arbeitslosenversicherung administriert. Teil der allgemeinen staatlichen oder kommunalen Verwaltung sind die Sicherung der Familie und von Kindern, Wohnungspolitik, Eingliederung behinderter Menschen, die s.S. von Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden, Sozialhilfe (bzw. ⇡ Arbeitslosengeld II) und die Absicherung von Kriegsfolgen.- 2. Selbstverwaltung der s.S.: Wesentliches Merkmal der Organisation der s.S. in Deutschland.- Ziel ist eine gelebte Demokratie, die dafür sorgt, dass die Sozialversicherung im Bewusstsein der gesamten Bevölkerung fest verwurzelt ist, was durch die Mitwirkung und Beteiligung der Betroffenen (Versicherte und Arbeitgeber) verwirklicht werden soll. Faktisch sorgt die s.S. dafür, dass eine gute Balance zwischen der Höhe der Leistungen und der Beitragsbelastung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gefunden wird.- Regelungen: Die Sozialversicherungsträger erfüllen dabei öffentliche Aufgaben eigenverantwortlich in eigenem Namen, durch eigene Organe und unter der Aufsicht des Staates; sie sind in Form selbstständiger öffentlich-rechtlicher Körperschaften organisiert. Die (oft ehrenamtlich tätigen) Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane werden alle sechs Jahre durch freie und geheime Sozialversicherungswahlen (Briefwahl) ermittelt. Versicherte und Arbeitgeber wählen die Vertreter ihrer Gruppen getrennt. Die Aufstellung der Kandidaten auf den Vorschlagslisten nehmen in erster Linie die Sozialpartner, d.h. auf der einen Seite die Gewerkschaften und auf der anderen Seite Arbeitgebervereinigungen vor. Reichen die Mitglieder einer Gruppe, etwa die Gewerkschaften, nur eine Vorschlagsliste ein oder werden auf mehreren Vorschlagslisten insgesamt nicht mehr Kandidaten benannt, als Organmitglieder zu wählen sind, gelten die vorgeschlagenen Kandidaten ohne weitere Wahlhandlung als gewählt. Eine solche Friedenswahl ist in der Praxis häufig zu finden. Im Jahre 1986 wurde nur bei 35 von insgesamt 1.300 Versicherungsträgern gewählt, v.a. bei den großen Versicherungsträgern. Dadurch wird in der Praxis die s.S. als gelebte Demokratie stark entwertet. Die Balancefunktion der s.S. wird dadurch allerdings nicht gefährdet.- 3. Gesetzliche Regelung: a) Leistungsarten: Die meisten Leistungen der s.S. werden in Bundesgesetzen geregelt. Auch die Leistungen der Sozialversicherungen werden vom Bundesgesetzgeber gesetzlich geregelt, da die Sozialversicherungen gesetzliche Zwangsversicherungen darstellen. Deswegen müssen alle gleichartigen Träger der Sozialversicherung im Wesentlichen gleiche Leistungen anbieten, d.h., dass die Regelleistungen für alle Träger eines Versicherungszweiges identisch sind. Über die Regelleistungen hinaus können jedoch Mehrleistungen durch Regelung in der Satzung der einzelnen Träger erbracht werden. Diese spielen allerdings nur eine geringe Rolle.- b) Beitragshoheit und -festsetzung: Eine ganz wesentliche Befugnis der Selbstverwaltung ist die Beitragshoheit in der Kranken- und Unfallversicherung. Deshalb können die nicht bundesweit organisierten Krankenkassen regional unterschiedliche Beitragssätze haben. Die Unfallversicherung setzt ihre ausschließlich durch die Unternehmer zu erbringenden Beiträge mittels Satzung fest; sie hat dabei noch eine weitergehende Handlungsfreiheit als die Krankenversicherungen. Die Rentenversicherung kennt dagegen keine Beitragshoheit, die Beitragsfestsetzung erfolgt bei ihr durch gesetzliche Regelung.- c) Das ⇡ Sozialgesetzbuch enthält wichtige gesetzliche Grundlagen der s.S. in Deutschland. Die ⇡ Sozialgerichtsbarkeit dient der Kontrolle.- 4. Gegliedertes System der s.S.: Stehender Begriff für die s.S. in Deutschland, die nach folgenden Funktionen (Sozialleistungen) gegliedert ist: ⇡ Gesundheitswesen (inklusive ⇡ Pflegeversicherung), ⇡ Alterssicherung, ⇡ Unfallversicherung, Arbeitsförderung (einschließlich soziale Sicherung bei Zahlungsunfähigkeit von Selbstständigen), ⇡ Sicherung der Familie und von Kindern, ⇡ soziale Sicherung des Wohnens, ⇡ Eingliederung behinderter Menschen, ⇡ soziale Sicherung von Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden, ⇡ Sozialhilfe (bzw. Arbeitslosengeld II).- 6. Krise und Reform der s. S. bzw. der sozialen Sicherungssysteme: ⇡ Sozialpolitik als Reform des Sozialstaats.
Lexikon der Economics. 2013.